Freitag, 30. August 2013
Nach der gelungenen und seit drei Jahren sehr erfolgreichen Produktion des Krisenkompass für Schulen hat unser Kooperationspartner edyoucare in diesem Monat eine App für den richtigen Umgang mit Krisensituationen an Schulen veröffentlicht. Diese App vermittelt Informationen zur Verbesserung der Handlungssicherheit für die ersten Minuten einer Krise. In aller Regel sind schulische Krisen nicht vorhersehbar. Unfälle von Schulkindern, der Suizid eines Lehrers oder auch eine Gewalttat treten an Schulen plötzlich und unerwartet auf. Routinen für adäquates Vorgehen müssen in solchen Situationen gut verinnerlicht sein oder blitzschnell erinnert werden. Denn während zumeist externe Hilfesysteme zur Verfügung stehen, ist bis zu deren Ankunft vor Ort die kompetente Situationsbewältigung durch anwesende Lehrkräfte notwendig. Handlungsorientierungen der App können in solchen Situationen vor falschen Entscheidungen schützen und ungewollte Folgeschäden reduzieren.
Die Notfall-App ist auf handelsüblichen Smartphones (Apple iOS und Android Betriebssysteme) offline aufrufbar und steht in angepassten Versionen für Deutschland, Österreich und die Schweiz zur Verfügung. In vier Bereichen (Panik, Unfall, Gewalt und Tod) bietet sie Informationen zur sofortigen Unterstützung für die ersten 15 Minuten eines krisenhaften Ereignisses. Danach greifen die individuell zu beachtenden Notfallpläne und Richtlinien der jeweiligen Schulen.
Die Texte der App wurden dabei sehr sorgfältig verfasst. Zwar mögen Kritiker aus Sicht des Handlings die Länge der Texte und umgekehrt aus Sicht der Wissenschaft die Kürze der Texte bemängeln, die App geht hier jedoch bewusst einen pragmatischen Mittelweg: Die Textmenge kann in Krisen überblickt und verarbeitet werden, ohne auf missverständlich kurze Vereinfachungen zurückzugreifen. Das Erreichen der bestmöglichen Sicherheit für den Handelnden stand stets im Mittelpunkt der Entwicklung.
Um die Sicherheit auch aus Sicht des Nutzers zu optimieren, raten wir natürlich dennoch dazu, sich in ruhigen Zeiten mit der App zu beschäftigen, damit sie in Krisen noch effektiver genutzt werden kann.
Nachdem IGaK schon 2010 bei der Überarbeitung des Krisenkompass für Deutschland mitgewirkt hat, haben wir auch diesmal sehr gerne an den Inhalten dieses visionären Projekts mitgearbeitet und freuen uns nun, das offizielle Erscheinen des fertigen Produktes mitteilen zu können.
Informationen zum Download bietet edyoucare auf seiner Webseite ebenso an, wie Details zu den Inhalten der KrisenKompass App.
Freitag, 11. Januar 2013
Während US-Vizepräsident Biden sich gestern in Washington mit der "National Rifle Association" traf, um infolge des jüngsten Vorfalls in Newtown neue Wege der Waffenkontrolle für die USA zu erörtern, fand an einer High School in Kalifornien ein neuerliches School Shooting statt. Zwei Schüler und ein Lehrer wurden verletzt, als ein 16-Jähriger in seiner Klasse um sich schoss.
Nach einem Bericht der LA Times hatte der Jugendliche bereits einige Monate zuvor angedroht, Klassenkameraden zu töten. Die Reaktion der Schule auf dieses Warnsignal wird mit der Suspendierung des drohenden Jugendlichen für einige Tage angegeben. An den gravierenden Problemen des Jugendlichen im Umgang mit seinen Klassenkameraden wurde offenbar nicht gearbeitet.
Es sei daher noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen: Sicherheit an Schulen entsteht nicht nur durch die Reduzierung von Waffen in einem Land und durch die Erhöhung technischer Sicherheitsvorrichtungen an einer Schule. Beides kann von einem motivierten Täter umgangen werden. Sicherheit vor schweren Gewalttaten durch Schüler an ihren Schulen entsteht in erster Linie dadurch, dass Warnsignale erkannt und die Tötungsmotivation der entsprechend auffällig gewordenen Jugendlichen neutralisiert wird. Die bloße Schul-Suspendierung eines Schülers macht derartige Fälle in aller Regel nur brisanter - dies haben auch mehrere Beispiele in Deutschland gezeigt.
Richtige Einschätzung von Warnsignalen und sinnvolles Management von Fällen werden von unserem Institut schon seit vielen Jahren in Seminaren und Vorträgen vermittelt. Konkrete Hinweise zur Reduzierung von Gewaltphantasien bzw. zur gelingenden sozialen Sicherung von Jugendlichen finden sich auch in unseren zahlreichen Fachbüchern bzw. unseren für Schulen erstellten Broschüren. Letztere können in einigen Bundesländern kostenfrei über die Unfallkassen bezogen werden. Bitte setzen Sie sich rechtzeitig mit dieser Thematik auseinander, damit in Ernstfällen Warnsignale erkannt und sichere Wege beschritten werden können.
Sonntag, 16. Dezember 2012
Hinweise für Gespräche mit Jugendlichen
- In der Regel verlaufen Gespräche mit Jugendlichen nachhaltiger, wenn der erwachsene Gesprächspartner zuerst seine eigenen Gefühle deutlich macht. Dies erlaubt es Jugendlichen, sich vertrauensvoller zu öffnen. - Fragen sollten stets direkt und wahrheitsgemäß beantwortet werden, ohne jedoch zusätzliche Ängste auszulösen. Zentraler Inhalt sollte auch bei Jugendlichen die Stärkung des Sicherheitserlebens sein. - Oft ist bei Jugendlichen ein soziales Bewusstsein besonders stark ausgeprägt. Daher kann das Thema schwerer Gewalttaten an Schulen gut mithilfe von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, Möglichkeiten der Waffenkontrolle oder der Rolle von Gewaltmedien lösungsorientiert besprochen werden. - Durch die Reflexion der Gefühle jugendlicher Außenseiter kann mehr darüber herausgefunden werden, ob sich der betreffende Jugendliche selbst als Außenseiter betrachtet und wie er andere Außenseiter sieht. - Jugendlichen sollte sehr deutlich gemacht werden, wie wichtig das Informieren eines Erwachsenen ist, wenn sie selbst bedroht werden oder von jemandem hören, der einen Dritten bedroht. - Auch unter Jugendlichen kann es zu einer Glorifizierung von School Shootern kommen. Dem sollte bereits im Ansatz klar und unmissverständlich entgegengewirkt werden. Es sollte intensiv verdeutlicht werden, welches Leid aus derartigen Taten für Opfer resultiert und dass die jugendlichen Täter auch ihr eigenes Leben zerstören. Gleichzeitig sollte die Ursache der Glorifizierungsversuche erkundet werden. Oft verbergen sich dahinter ein geringes Selbstbewusstsein und die Suche nach Anerkennung. Beiden Elementen kann mit Unterstützung von Erwachsenen entgegengewirkt werden.
Auszug aus: Robertz, F.J. & Wickenhäuser, R. (2010), "Der Riss in der Tafel", Seite 184
Samstag, 15. Dezember 2012
Hinweise für Gespräche mit Kindern:
- Noch stärker als bei Jugendlichen sollte ein wesentlicher Schwerpunkt des Gesprächs darauf gelegt werden, das Sicherheitsgefühl der Kinder zu stärken. Auch Bemühungen von Polizei, Schule, Schulbehörde und Erwachsenen, im sozialen Umfeld des Kindes für dessen Sicherheit zu sorgen, können dabei hervorgehoben werden. - Nach Möglichkeit sollte der Konsum von Nachrichtensendungen über schwere Formen von Gewalt an Schulen eingeschränkt werden. Wurden solche Sendungen betrachtet, sollten in den nächsten Tagen mehrfach Gespräche darüber anregt werden. - Es sollte nicht explizit auf bestimmte Vorgehensweisen eingegangen werden (etwa, was ein Täter genau getan hat), sondern auf seine Motivation und die Seltenheit des Ereignisses. Vermieden werden sollten auch angstauslösende Begriffe (wie etwa Blutbad, Heckenschütze und dergleichen). - Konkrete Fragen nach dem kindlichen Verständnis eines Vorfalls helfen dabei, unrealistische Ängste aus dem Weg räumen zu können. - Generell sollten vor allem diejenigen Umstände thematisiert werden, die das Kind tatsächlich belasten. Wenn beispielsweise Szenen vom Abtransport blutender Opfer erschütternd gewirkt haben, dann sollte nicht die Schießerei Hauptinhalt des Gesprächs sein. Stattdessen sollte erklärt werden, wie Ärzte den Opfern helfen können. Ein Vergleich aus dem Lebensbereich des Kindes (etwa der Kinderarzt) kann die Thematik verdeutlichen. - Oft ist es für Kinder hilfreich, Gefühlen von Trauer mit ausgleichenden Aktivitäten zu begegnen. Dies kann etwa mit dem Sammeln von Spenden für die betroffenen Familien oder einer Zeichnung als Ersatz für einen Kondolenzbrief umgesetzt werden. Es sollte verdeutlicht werden, dass Hilfeleistungen negative Erlebnisse erleichtern. - Einzelne Kinder können mit Anzeichen einer Glorifizierung auf schwere Gewalttaten an Schulen reagieren. In solchen Fällen sollte klar und unmissverständlich festgestellt werden, dass Gewalt kein akzeptabler Weg zur Problemlösung ist.
Auszug aus: Robertz, F.J. & Wickenhäuser, R. (2010), "Der Riss in der Tafel", Seite 183
Zusätzliche Hinweise zu Gesprächen mit Jugendlichen folgen in einem weiteren Blogbeitrag.
Allgemeine Hinweise für Gespräche mit Kindern und Jugendlichen über schwere Gewalttaten an Schulen:
- Ganz wichtig: Nicht nur reden, sondern vor allem auch zuhören! Kinder und Jugendliche müssen Gelegenheit bekommen, ihre Sorgen und Ängste aussprechen zu können. - Plötzlich auftauchende physische Anzeichen wie etwa Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Schlafstörungen, Albträume, Reizbarkeit, Konzentrationsmangel, Rückzug oder Weigerungen, zur Schule zu gehen, können ein Zeichen dafür sein, dass Kinder und Jugendliche sich mit einem angstauslösenden Thema auseinandersetzen, bei dem sie Hilfe brauchen. Wurde dieses Thema erkannt, sollte es mehrfach angesprochen werden. Notfalls können Fachkräfte bei der Abklärung helfen (Vertrauenslehrer, Schulpsychologe, Familienarzt o.Ä.). - Es ist sinnvoll, im Gespräch ehrlich zuzugeben, dass schwere Gewalttaten an Schulen auftreten können. Gleichzeitig sollte den Kindern und Jugendlichen versichert werden, dass es sich um seltene Ereignisse handelt und dass alles Erdenkliche unternommen wird, um die Sicherheit der Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten. - Ängstliche Kinder und Jugendliche sollten daran erinnert werden, wie viel Sicherheit es in ihrem Leben gibt. Gespräche über positive Erlebnisse und mithilfe von Erwachsenen erfolgreich überwundene Probleme erweisen sich zumeist als hilfreich.
Auszug aus: Robertz, F.J. & Wickenhäuser, R. (2010), "Der Riss in der Tafel", Seite 182
In den nächsten beiden Blogposts werden wir weitere hilfreiche Tipps von klinischen Experten und Pädagogen veröffentlichen, die sich ebenfalls in unserem Buch finden.
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